Qigong

Das Bewahren des Einen

Der Ausdruck Bewahren des Einen stammt aus dem 10. Kapitel des Laozi. Dort heißt es:

Kannst du die Körper-Seele nähren und das Eine bewahren, ohne dass sie sich trennen?
Kannst du den Atem konzentrieren und ihn weich werden lassen, wie den eines Neugeborenen?
Kannst du den dunklen Spiegel klären, so dass alle Flecken verschwinden.
Kannst du durch Nicht-Wissen das Land lieben und die Leute regieren?
Kannst du das Tor des Himmels öffnen und schließen und wie ein Weibchen sein?
Kannst du durch Nicht-Wissen das klare Licht die vier Richtungen erfüllen lassen?
Gebäre es und nähre es,
gebäre es, aber suche es nicht zu besitzen,
fördere es, aber beherrsche es nicht.
Das nennt man die dunkle Tugend.

Laozi spricht hier eine für uns ungewohnte Art des Lernens an, ein Lernen, das nicht auf die Vermehrung von Wissen zielt. Es hat vielmehr mit dem Körper zu tun und dessen Verbindung zur Natur und ihren Kräften. Der Daoismus meint: „Wir sind nur durch den Körper in der Wirklichkeit gegründet.“ Doch so zuhause sind wir meist in unseren Gedanken, Vorstellungen und Gefühlen, das wir den Körper vergessen, und die Notwendigkeit, ihn zu nähren, die Ordnung seiner Energien zu schützen und die Einheit zwischen Innen und Außen wiederherzustellen.

Wir haben ja hauptsächlich eine Vorstellung vom Lernen als geistigem Verarbeiten von Inhalten. Der Daoismus nun behauptet, dass diese Art des Lernens für unseren Körper und generell für unser Leben nicht nur keine Hilfe ist, sondern meist das Problem darstellt: Der Geist kann den Körper nicht wirklicher machen, ganz im Gegenteil, er kann ihn zum Zusammenbruch bringen.

Der Körper ist eine Einheit, die sich autonom entfaltet. Das Bewusstsein kann dieser Einheit nichts hinzufügen, es kann das Leben nicht lebendiger machen. Es kann jedoch den Körper und seine Prozesse stören, nicht nur durch unangebrachte Versuche der Beeinflussung und Kontrolle, sondern oft auch unbemerkt durch Gedankenmuster, Einstellungen, Ideologien, die ebenfalls sein natürliches Funktionieren durcheinanderbringen. Darum wird im Qigong betont, wie wichtig und notwendig es ist, den inneren Dialog zu verlangsamen, Ehrgeiz und Bemühung aufzugeben, weniger wissen zu wollen, ruhig zu werden und auf den Körper zu vertrauen…

Im Qigong bedeutet Lernen das Gegenteil dessen, was wir normalerweise darunter verstehen: Es geht nicht um das Beherrschen von Übungen, das Unterscheiden von Richtig und Falsch oder um Fortschritte im theoretischen Verständnis. Lernen bedeutet in erster Linie, in den Körper zu kommen, im Körper zu sein und über das Qi dessen Lebendigkeit und die Rückbindung zum schöpferischen Urgrund (zum ursprünglichen Qi) zu erfahren.

Laozi formuliert dies sehr klar:

Zu lernen bedeutet, täglich hinzuzufügen. Das Dao zu praktizieren, heißt täglich zu vermindern. Vermindern und weiter vermindern, bis man beim Nicht-Tun anlangt. Durch Nicht-Tun bleibt nichts ungetan.

Qigong zu üben stellt einen langsamen Prozess dar, der wie beim Erlernen eines Instruments Geduld braucht und Disziplin (entsprechend obigem „Vermindern“), bis sich Mühelosigkeit und Spontaneität (das „Nicht-Tun“) einstellen. Und es braucht das Vertrauen, dass die Verbindung des eigenen Lebens mit dem „großen Leben“ der Natur möglich ist, dass das Leben durch Rückbindung an das ursprüngliche Qi erneuert werden kann.

Zu oft reduziert sich das Leben auf Gewohnheiten und wird auf einschränkende Art und Weise gelebt. Manche dieser Einschränkungen zu verlernen und wieder einmal den Horizont sehen zu können, die Weite des Lebens und neue Möglichkeiten, üben wir Qigong.

© Árpád Romándy