Qigong

Gedichte weiblicher Daoisten der Tang-Dynastie


Yu Xuanji 魚玄機 (844 – 868)

übersetzt von Árpád Romándy

訪趙煉師不遇

何處同仙侶
青衣獨在家
暖爐留煮藥
鄰院為煎茶
畫壁燈光暗
幡竿日影斜
殷勤重回首
墻外數枝花   

Ich besuchte die daoistische Meisterin Zhao, traf sie aber nicht an

Wo bist du hin mit deinen unsterblichen Gefährten?
Nur dein Dienstmädchen ist daheim.
Auf dem noch warmen Herd simmern Kräuter, 
im Hof nebenan werden Teeblätter gekocht.
Das schwache Licht der Lampe fällt auf bemalte Wände, 
in der Abendsonne steht der Schatten des Fahnenmasts schräg.
Von Zeit zu Zeit werfe ich einen Blick zurück,
jenseits der Mauer sind einige blühende Zweige.

題隱霧亭              

春花秋月入詩篇
白日清宵是散仙             
空捲珠簾不曾下
長移一榻對山眠 

Der Im-Nebel-Verborgene Pavillion

Frühlingsblumen und Herbstmond finden sich in meinen Gedichten,
licht sind die Tage und klar die Nächte, unbekümmerten Unsterblichen gleich.
Den Vorhang rollte ich einmal hoch und ließ ihn nie wieder herunter,
doch mein Bett verschob ich oft, um mit Blick auf die Berge zu schlafen.

夏日山居              

移得仙居此地來
花叢自遍不曾栽             
庭前亞樹張衣桁             
坐上新泉泛酒杯             
軒檻暗傳深竹徑             
綺羅長擁亂書堆             
閑乘畫舫吟明月             
信任輕風吹卻回

Im Sommer in den Bergen lebend

Hierher bin ich gezogen, in diese Wohnstatt für Unsterbliche,
überall blühen wilde Blumen und Büsche.
Über Astgabeln im vorderen Hof breite ich Kleider,
auf dem Wasser der Quelle lasse ich Weinbecher treiben.
Von der Balustrade führt ein Weg ins tiefe Dunkel des Bambus,
Seidenstoffe bedecken verstreute Stapel von Büchern.
Im bemalten Boot treibend singe ich zum hellen Mond
und vertraue der sanften Brise, mich wieder heim zu wehen.

Li Ye 李冶 (? – 784)

偶居                    

心遠浮云知不還             
心云并在有無間    
狂風何事相搖蕩    
吹向南山復北山    

Zusammenleben

Mit den Wolken zieht mein Herz in die Ferne und kehrt nicht zurück.
Mein Herz und die Wolken, beide zwischen Nicht-Sein und Sein.
Warum werden sie von Sturmwinden geschüttelt,
zu den Bergen im Süden und dann wieder zu denen im Norden geweht?

莫漫戀浮名          
應須薄宦情          
百年齊旦暮          
前事盡虛盈          
愁鬢行看白          
童顏學未成          
無過天竺國          
依止古先生          

Daoistische Gedanken, an Vize-Zensor Cui gesandt

Sei nicht vernarrt in leeren Ruhm,
nimm leicht die Dinge von Stellung und Rang.
Hundert Jahre sind wie Morgen und Abend,
der Vergangenheit Fülle und Leere, alles vorbei.
Sorgen färbten dein Schläfenhaar grau,
die Kunst des rosigen Teints hast du nie erlernt.
Mach dich nicht auf ins Land von Tianzhu*,
sondern halte dich an den Alten Meister.

* „Land von Tianzhu“ ist der alte chinesische Name für Indien.

相思怨

人道海水深                  
不抵相思半          
海水尚有涯          
相思渺無畔          
携琴上高樓
樓虛月華满          
彈著相思曲          
弦腸一時斷                    

Klage über die Sehnsucht nach dir

So tief es heißt, dass der Ozean sei,
ist er doch nicht halb so tief wie meine Sehnsucht.
Ufer begrenzen die Wasser des Ozeans,
meine Sehnsucht hingegen ist weit und uferlos.
Mit meiner Qin* besteige ich einen hohen Turm,
seine Leere von strahlendem Mondlicht erfüllt.
Ein Lied voller Sehnsucht stimme ich an,
und im Augenblick zerreißen mir Saiten und Herz.

* Qin: die siebensaitige chinesische Zither

Zhuo Yingying 卓英英 ( ? – ?)

理笙                    

頻倚銀屏理鳳笙             
調中幽意起春情    
因思往事成惆悵    
不得緱山和一聲    

Spiel auf der Sheng

Oft spielte ich die Sheng, neben dem Wandschirm aus Silber,
Frühlingsgefühle erwachten in der Stille der Musik.
Wehmut ergriff mich, als ich über Vergangenes sann,
doch es antwortete keine Melodie vom Berg Gou.

* Sheng ist die chinesische Mundorgel. Wang Ziqiao, der das Spiel auf der Sheng liebte, erlangte nach 30 Jahren auf dem Berg Gou die Unsterblichkeit.

Lu Meiniang 盧眉娘 (792 – ?)

和卓英英理笙                

但於閨閣熟吹笙             
太白真仙自有情             
他日丹霄驂白鳳             
何愁子晉不聞聲    

Antwort auf Zhuo Yingyings Spiel auf der Sheng

Spiele nur weiter die Sheng in deiner Kammer,
auch der Unsterbliche Tai Bai hat seine Gefühle.
Eines Tages fliegst du auf weißem Phönix durch den prächtigen Himmel,
sorge dich nicht, dass Zi Jin deine Musik nicht vernähme.

* Zi Jin ist Wang Ziqiaos Großjährigkeitsname. Er ahmte gern die Rufe des Phönix nach.


© Árpád Romándy