Qigong

Ausschnitte aus den Büchern Neiye 內業 und Zhuangzi 莊子

Shi Rui 石芮 (? – ca. 1469): Der Gelbe Kaiser befragt Guangchengzi über das Dao

Hier sind ein paar kurze Ausschnitte aus den Büchern Neiye 内業 (Innere Kultivierung, einer der frühesten Texte des Daoismus) und Zhuangzi 莊子.

In diesen Passagen geht es um das Leben und die Kräfte, die es ausmachen, Themen, die, charakteristisch für den Daoismus in seiner gesamten langen Geschichte, auch in die Theorien der traditionellen chinesischen Medizin Eingang fanden, und in der heutigen Zeit, mehr als zwei Jahrtausende später, immer noch präsent sind.

Die damalige Auffassung des Lebens als Verkörperung kosmischer Energien – Jing 精 Essenz, Qi  Lebensenergie, Shen 神 numinose geistige Kraft – gilt immer noch, sowohl in der chinesischen Medizin als auch im Qigong. In den daoistisch geprägten Methoden des Qigong wird auch die alte Auffassung wieder aufgegriffen, dass Leben und Vitalität durch geistige Leere und Ruhe zu nähren seien, während Unruhe zu deren Verlust führe. Den Körper als Wohnstatt lebensspendender und lebenserhaltender Kräfte zu erhalten, verlangt nach rechter Ausrichtung des Körpers und Beruhigung des Geistes, als es der leere innere Raum ist, der diese Kräfte, Quelle von Gesundheit und Lebenskraft, anzieht.

Warum lohnt es sich, die Geschäfte der Welt zu lassen, und warum lohnt es sich, das Leben zu vergessen? Lässt man die Geschäfte der Welt, erfährt der Körper keine Mühe. Vergisst man das Leben, nimmt die Essenz keinen Schaden. Vollkommenen Körpers und wiederhergestellter Essenz, wird man eins mit dem Himmel. Himmel und Erde sind Vater und Mutter der Zehntausend Dinge. Vereinigen sie sich, entsteht ein Körper; zerstreuen sie sich, wird ein neuer Beginn. Körper und Essenz ungemindert: das nennt man fähig sein, zu verlagern. Essenz, feiner und immer noch feiner, so wird man zum Helfer des Himmels.

(Zhuangzi 莊子 19, Dasheng 達生)

Für alle, die diesen Weg praktizieren:
Du musst aufrollen, du musst zusammenziehen,
du musst abspulen, du musst ausdehnen.
Du musst fest und stabil sein in dieser Übung.
Halte dich an diese ausgezeichnete Praxis, lass sie nicht fahren.
Vertreibe, was übermäßig, verlasse, was gewöhnlich.
Erreichst du dann die äußerste Grenze,
kehrst du zurück zum Weg und seiner inneren Kraft.

(Guanzi 管子, Neiye 内業)

Die Grundregeln, das Leben zu wahren:

Kannst du das Eine umfassen?
Kannst du es nicht verlieren?
Kannst du, ohne Schildkrötenpanzer oder Schafgarbe zu gebrauchen,
um Glück und Unglück wissen?
Kannst du innehalten? Vermagst du aufzuhören?
Kannst du lassen, es in anderen zu suchen,
und es bei dir finden?
Kannst du ungebunden sein?
Kannst du einfältig sein?
Kannst du wie ein Säugling sein?

Der Säugling weint den ganzen Tag, aber seine Kehle wird nicht heiser – das Höchste an Harmonie. Der Säugling ballt seine Faust den ganzen Tag, aber seine Finger verkrampfen sich nie – er ist eins mit seinem Wesen. Der Säugling schaut den ganzen Tag, ohne zu zwinkern – er kennt keine Vorlieben in der äußeren Welt. Er bewegt sich, ohne zu wissen wohin, er verweilt, ohne zu wissen, was er tut, er treibt mit den Dingen auf derselben Woge.

Diese sind die Grundregeln der Wahrung des Lebens, diese und nicht mehr.

(Zhuangzi 莊子23, Gengsang Chu 庚桑處)

Es ist die Essenz der Dinge, die ihnen Leben verleiht.
Unten gebiert sie die Fünf Getreide,
oben wird sie zu den Konstellationen der Sterne.
Fließt sie zwischen Himmel und Erde,
heißen wir sie Dämonen und Geister.
Gespeichert in der Brust der Menschen,
heißen wir sie „Weise“.

Darum ist dieses Qi:
hell – wie beim Aufstieg zum Himmel,
dunkel – wie beim Betreten eines Abgrunds,
weit – wie das ausgedehnte Meer,
hoch – wie auf dem Gipfel eines Berges.

Darum: dieses Qi kann nicht durch Gewalt gehalten,
aber durch innere Kraft (De 德 – Tugend) gesichert werden.
Nicht mittels der Sprache kann es gerufen,
jedoch durch das  Gewahrsein empfangen werden.
Halte dich achtungsvoll daran, ohne es zu verlieren!
Dies nennt man vollkommene innere Kraft.
Ist die innere Kraft vollkommen, entsteht Weisheit,
und die Dinge der Welt werden alle erlangt.

(Guanzi 管子, Neiye 内業)

Bisslücke fragte Mantelträger nach dem Weg. Mantelträger sprach: „Mach deinen Körper aufrecht, eine deinen Blick, und die Harmonie des Himmels wird zu dir kommen. Zügle dein Wissen, vereine deine Gedanken, und der Geist wird in dir wohnen. Die innere Kraft wird dir Schönheit sein, der Weg wird dir Heim sein, und, einfältig blickend wie ein neugeborenes Kalb, wirst du nicht nach Gründen suchen.“

Mit seiner Rede war er noch nicht zu Ende, da fiel Bisslücke schon in tiefen Schlaf. Mantelträger war zutiefst erfreut und ging von ihm, singend:

„Verdorrte Knochen sein Körper,
tote Asche sein Geist,
wirklich in wahrem Wissen,
auf keinen Gründen beharrend,
in tiefstem Dämmer und Dunkel,
absichtslos, keinem Streben zugänglich.
Was ist dies für ein Mensch?“

(Zhuangzi 莊子22, Zhi Bei You 知北遊)

Ist dein Körper nicht ausgerichtet,
stellt sich die innere Kraft nicht ein.
Ohne innere Stille
wird dein Geist nicht wohl geordnet sein.
Richte deinen Körper aus, unterstütze die innere Kraft,
allmählich dann kommt diese von selbst herbei.

(Guanzi 管子, Neiye 内業)

© Árpád Romándy